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Im Innern Tutogens

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Firma macht aus Humangewebe Medizinprodukte

VON MANUEL KUGLER
160 Menschen arbeiten bei Tutogen in Neunkirchen. Aus humanem und tierischem Gewebe fertigt die Firma Medizinprodukte, die Menschen im besten Fall das Leben retten können. Die Geschäftsführung hat sich nun einen Kurs der Transparenz auferlegt - und will so die schwierige Vergangenheit hinter sich lassen. Ein Firmenbesuch.
NEUNKIRCHEN - Zwei Schleusen schirmen die Reinräume ab. Wer sehen will, wie die Tutogen-Mitarbeiter menschliches Gewebe zu medizinischen Produkten verarbeiten, muss ein wenig Geduld mitbringen, in Schleuse 1 Haube, Mundschutz und Kittel anlegen. Sind die Hände desinfiziert, beginnt die Prozedur in Schleuse 2 von neuem. Über den Kittel kommt dort noch ein zweiter Schutzanzug.
21 Grad herrschen konstant in den 40 gläsernen Räumen hinter den Schleusen. Die Luftfeuchtigkeit beträgt mindestens 15, maximal 75 Prozent, dazu herrscht Überdruck. Ein Filtersystem reinigt die Luft von Partikeln; regelmäßige Abstriche stellen sicher, dass die Keimbelastung auf ein Minimum beschränkt bleibt.
Eine Mitarbeiterin hält eine getrocknete Achillessehne in den Händen, reinigt sie akribisch mit einem kleinen Messer von Rückständen. Nebenan fräst ein Kollege aus einem Stück Oberschenkelknochen kleine Teile, die später bei der Behandlung von Bandscheiben-Defekten zum Einsatz kommen.
Bereits seit den 1960er Jahren gibt es die Firma Tutogen, Tochter der amerikanischen RTI Biologics, in Neunkirchen. Im Jahr 2000 zog auch die Verwaltung von Tennenlohe in die Marktgemeinde. Sechs Jahre später wurden noch einmal vier Millionen Euro in einen Neubau investiert.

Große Bandbreite
Die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten für das Gewebe ist groß: Mit einer Mühle verarbeitete Knochen helfen Zahnärzten beim Wiederaufbau eines Kiefers, Knorpel aus der Rippe ermöglichen die Rekonstruktion einer Nase, wenn diese etwa durch einen Tumor zerstört wurde.
Der 14-jährige Jahongir, der sich wegen einer komplizierten Verletzung im Oberschenkel fast sein ganzes Leben lang kriechend fortbewegen musste, kann dank Human-Gewebes wohl bald laufen: In einem Koblenzer Krankenhaus wurde dem usbekischen Jungen ein menschlicher Knochen eingesetzt - bezahlt von Tutogen. Einen künstlichen Knochen hatte sein Körper zuvor abgestoßen. Vom Menschen, aber auch vom Rind und Schwein stammt das Gewebe, das hier verarbeitet wird. Alle drei Bereiche sind strikt voneinander getrennt. Bis das Gewebe in den Reinräumen ankommt, hat es einen langen Weg hinter sich.
Den weitesten haben die Körperteile des Rindes: Das bovine Gewebe stammt ausschließlich aus Neuseeland und Australien - den einzigen beiden Ländern, in denen es noch nie einen BSE-Fall gab, erklärt Tutogen-Mitarbeiter Markus Schäffler.
Das menschliche Gewebe - über dessen Herkunft wurden mehrfach Vorwürfe gegen das Unternehmen und seine Partner in Osteuropa laut (siehe "Zur Sache") - stamme aus "EUNachbarländern", sagt Sabine Rohde. Dass die Sprecherin offen über die Arbeit von Tutogen informiert, ist Teil des neuen Kurses der Geschäftsführung. Transparenz lautet von nun an die Strategie gegen in Augen der Firma ungerechtfertigte Angriffe.

"Herzstück der Firma"
Sofort nach der Ankunft in Neunkirchen wird das Gewebe inspiziert und begutachtet, anschließend kommt es in den Tutoplast-Bereich, "das Herzstück der Firma", erklärt Markus Schäffler. "Bis zu 20 Arbeitstage lang wird das Gewebe mit Chemikalien wie Essigsäure oder Natriumlauge behandelt." Eiweiß, Blut und sogar die DNA werden den Körperteilen vollständig entzogen.
Im letzten Schritt kommt flüssiges Aceton zum Einsatz, so dass weder Fett noch Wasser in den Körperteilen verbleiben. Damit das Gas wieder aus den Knochen entweicht, werden diese 72 Stunden lang bei 35 Grad getrocknet. Erst dann darf das Gewebe in die Reinräume.
Wie es dort weiterverarbeitet wird, ist im Detail in der Dokumentation nachzulesen, die rund 100 Ordner füllt - Monat für Monat. Der Weg eines jeden Produkts muss sich laut Gesetz lückenlos zurückverfolgen lassen. Die Aufbewahrungspflicht gilt für 30, in manchen Ländern sogar für 40 Jahre. "Nur wenn die Dokumentation vollständig ist", sagt Markus Schäffler, "ist ein Produkt wirklich gut." Große Hoffnungen verbindet Tutogen mit dem Schweine-Gewebe, das erst seit kurzem verarbeitet wird. 2,5 Millionen Euro hat die Firma in die Infrastruktur investiert. "Porcine Dermis", ein Implantat aus Schweinehaut, wird etwa bei Wirbelsäulen- OPs eingesetzt. Für die USA liegt die Zulassung bereits vor, für die EU soll sie im Laufe des Jahres folgen.

Originalbericht enthält Fotos, die wir aus rechtlichen Gründen nicht hier einstellen dürfen

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