Rolf Kießling widmet sich ihrem Schicksal in Ermreuth
VON UDO GÜLDNER
Zur Woche der Brüderlichkeit beschäftigt sich die Broschüre "Die letzten Juden von Ermreuth" mit dem Schicksal der zwischen 1933 und 1945 entrechteten, deportierten und ermordeten Juden des Dorfes. Der Forchheimer Lokalhistoriker Rolf Kießling (65), Vorsitzender des Freundes- und Förderkreises der Synagoge Ermreuth, hat sich in den vergangenen beiden Jahren wissenschaftlich des bisher vernachlässigten Themas angenommen.
ERMREUTH - Eine Postkarte aus den 1920-er Jahren zeigt eine ländliche Idylle. Kirche, Schloss und Synagoge stehen als Sehenswürdigkeiten des kleinen Ortes Ermreuth friedlich nebeneinander. Das Zusammenleben zwischen den mehrheitlich protestantischen Ermreuthern und ihren israelitischen Nachbarn scheint funktioniert zu haben. Geschäftsbeziehungen, Freundschaften und gegenseitiger Respekt bezeugen dies. Das zeigt nicht nur das Gefallenen-Denkmal, auf dem mit Moritz Hönlein (1887-1917) auch ein jüdischer Soldat verewigt wurde.
15 waren übrig
Doch der Schein trügt. Nur wenige Jahre später werden auch hier der staatlich verordnete Antisemitismus, die Entrechtung im alltäglichen Leben, die Verfolgung und Verschleppung einsetzen. Den Auftakt bildet wie im gesamten Reichsgebiet die Pogromnacht von 1938. Von den einst 194 im Ort lebenden Juden, die sich 1822 eine neue Synagoge erbauten, sind durch Auswanderungen und Landflucht bis dahin nur 15 Personen übriggeblieben. "Das sind nicht einmal vier Prozent bei insgesamt rund 550 Einwohnern." Der letzte Akt der Tragödie beginnt 1939 wenige Monate vor dem Einmarsch in Polen mit der "Umsiedlung" aus Ermreuth und der zwangsweisen Unterbringung in "Ghettohäusern" in Nürnberg. Damit war Ermreuth nach fast 500 Jahren "judenfrei". Bereits hier in drangvoller Enge verlässt einige der 15 Juden der Lebenswille. Sie werden todkrank wie Fanni Schönberger (1863-1940), Theresia Hönlein (1874-1941) und Max Wassermann (1892-1942), sterben und werden auf dem Friedhof Schnieglinger Straße in Nürnberg bestattet.
Dann 1941, es ist bereits Zweiter Weltkrieg, werden rund 1000 fränkische Juden, darunter auch die übrigen zwölf Ermreuther, davon drei Kinder, mit der Reichsbahn deportiert. Noch aber sind die Vernichtungslager nicht voll betriebsbereit, und das Ghetto in Riga 1941 noch nicht "evakuiert". So bleibt denn nur ein Ausweichquartier, ein Gutshof, der als KZ Riga-Jungfernhof schreckliche Berühmtheit erlangte. Hier sterben unter Aufsicht der SS und lettischer Hilfsverbände die Menschen an systematisch als Waffe eingesetzter Kälte, Hunger und Entkräftung. "Es war schließlich Winter mit rund 40 Grad Minus", schreibt Kießling.
Einzig Bernhard überlebte
Andere Ermreuther Juden, Betty Wassermann (1893-1942), ihre Kinder Bella (1929-1942), Werner (1925-1942), Kurt (1927-1942), sowie Hugo Wassermann (1896-1942) folgten mit späteren Transporten ins KZ Izbica bei Lublin (1942). Nur Sohn Bernhard (1923-) hat den Holocaust überlebt. Für einige ist bereits der Weg nach Osten tödlich, für andere wird es die Zwischenstation sein, für die wenigen, die bis dahin überlebt haben, kommt das Ende in den Vernichtungsfabriken Treblnka, Sobibor oder Auschwitz.
Opfern eine Stimme geben
Wie umfassend der Ausrottungswille war, zeigt sich an mehreren Lebensläufen. Etwa an Rosa Wassermann (1854-1942), die noch als 88-jährige Witwe ins böhmische Theresienstadt deportiert wurde. Ebenso wie Regina Schönberger (1860-1942). Natürlich nicht zum "Arbeitseinsatz" im Osten, wie man den Deutschen weismachen wollte, sondern in ein "Altersheim", wie es im zynischen Sprachgebrauch hieß. Oder an Hugo Wassermann, dem Sohn der Rosa Wassermann, der trotz seines Einsatzes im Ersten Weltkrieg der Vernichtungsmaschinerie nicht entkam. Obwohl er wie sein Forchheimer Leidensgenosse Max Prager amputierter Invalide war.
Seitenweise zählt Rolf Kießling die nüchternen Daten auf, akribisch in Archiven recherchiert, in persönlichen Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren, stets aber auch mit gesundem Misstrauen für mündliche Überlieferungen. Immer wieder kann der pensionierte Gymnasiallehrer auch bisherige Erkenntnisse der historischen Forschung ergänzen, verbessern oder gar widerlegen. Und er behält auch die 33 in Ermreuth geborenen, dann aber über ganz Süddeutschland verstreuten Juden im Auge. Die Broschüre ist keine Anklageschrift. Sie möchte den Opfern eine Stimme geben. Und das Ausmaß des Holocaust auch in kleineren Gemeinden sichtbar machen.
ⓘ Die 40-seitige Broschüre "Die letzten Juden von Ermreuth" ist gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro beim Verfasser Rolf Kilian Kießling, Telefon (0 9191) 3 15 40, erhältlich.
Originalbericht enthält Fotos, die wir aus rechtlichen Gründen nicht hier einstellen dürfen
VON UDO GÜLDNER
Zur Woche der Brüderlichkeit beschäftigt sich die Broschüre "Die letzten Juden von Ermreuth" mit dem Schicksal der zwischen 1933 und 1945 entrechteten, deportierten und ermordeten Juden des Dorfes. Der Forchheimer Lokalhistoriker Rolf Kießling (65), Vorsitzender des Freundes- und Förderkreises der Synagoge Ermreuth, hat sich in den vergangenen beiden Jahren wissenschaftlich des bisher vernachlässigten Themas angenommen.
ERMREUTH - Eine Postkarte aus den 1920-er Jahren zeigt eine ländliche Idylle. Kirche, Schloss und Synagoge stehen als Sehenswürdigkeiten des kleinen Ortes Ermreuth friedlich nebeneinander. Das Zusammenleben zwischen den mehrheitlich protestantischen Ermreuthern und ihren israelitischen Nachbarn scheint funktioniert zu haben. Geschäftsbeziehungen, Freundschaften und gegenseitiger Respekt bezeugen dies. Das zeigt nicht nur das Gefallenen-Denkmal, auf dem mit Moritz Hönlein (1887-1917) auch ein jüdischer Soldat verewigt wurde.
15 waren übrig
Doch der Schein trügt. Nur wenige Jahre später werden auch hier der staatlich verordnete Antisemitismus, die Entrechtung im alltäglichen Leben, die Verfolgung und Verschleppung einsetzen. Den Auftakt bildet wie im gesamten Reichsgebiet die Pogromnacht von 1938. Von den einst 194 im Ort lebenden Juden, die sich 1822 eine neue Synagoge erbauten, sind durch Auswanderungen und Landflucht bis dahin nur 15 Personen übriggeblieben. "Das sind nicht einmal vier Prozent bei insgesamt rund 550 Einwohnern." Der letzte Akt der Tragödie beginnt 1939 wenige Monate vor dem Einmarsch in Polen mit der "Umsiedlung" aus Ermreuth und der zwangsweisen Unterbringung in "Ghettohäusern" in Nürnberg. Damit war Ermreuth nach fast 500 Jahren "judenfrei". Bereits hier in drangvoller Enge verlässt einige der 15 Juden der Lebenswille. Sie werden todkrank wie Fanni Schönberger (1863-1940), Theresia Hönlein (1874-1941) und Max Wassermann (1892-1942), sterben und werden auf dem Friedhof Schnieglinger Straße in Nürnberg bestattet.
Dann 1941, es ist bereits Zweiter Weltkrieg, werden rund 1000 fränkische Juden, darunter auch die übrigen zwölf Ermreuther, davon drei Kinder, mit der Reichsbahn deportiert. Noch aber sind die Vernichtungslager nicht voll betriebsbereit, und das Ghetto in Riga 1941 noch nicht "evakuiert". So bleibt denn nur ein Ausweichquartier, ein Gutshof, der als KZ Riga-Jungfernhof schreckliche Berühmtheit erlangte. Hier sterben unter Aufsicht der SS und lettischer Hilfsverbände die Menschen an systematisch als Waffe eingesetzter Kälte, Hunger und Entkräftung. "Es war schließlich Winter mit rund 40 Grad Minus", schreibt Kießling.
Einzig Bernhard überlebte
Andere Ermreuther Juden, Betty Wassermann (1893-1942), ihre Kinder Bella (1929-1942), Werner (1925-1942), Kurt (1927-1942), sowie Hugo Wassermann (1896-1942) folgten mit späteren Transporten ins KZ Izbica bei Lublin (1942). Nur Sohn Bernhard (1923-) hat den Holocaust überlebt. Für einige ist bereits der Weg nach Osten tödlich, für andere wird es die Zwischenstation sein, für die wenigen, die bis dahin überlebt haben, kommt das Ende in den Vernichtungsfabriken Treblnka, Sobibor oder Auschwitz.
Opfern eine Stimme geben
Wie umfassend der Ausrottungswille war, zeigt sich an mehreren Lebensläufen. Etwa an Rosa Wassermann (1854-1942), die noch als 88-jährige Witwe ins böhmische Theresienstadt deportiert wurde. Ebenso wie Regina Schönberger (1860-1942). Natürlich nicht zum "Arbeitseinsatz" im Osten, wie man den Deutschen weismachen wollte, sondern in ein "Altersheim", wie es im zynischen Sprachgebrauch hieß. Oder an Hugo Wassermann, dem Sohn der Rosa Wassermann, der trotz seines Einsatzes im Ersten Weltkrieg der Vernichtungsmaschinerie nicht entkam. Obwohl er wie sein Forchheimer Leidensgenosse Max Prager amputierter Invalide war.
Seitenweise zählt Rolf Kießling die nüchternen Daten auf, akribisch in Archiven recherchiert, in persönlichen Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren, stets aber auch mit gesundem Misstrauen für mündliche Überlieferungen. Immer wieder kann der pensionierte Gymnasiallehrer auch bisherige Erkenntnisse der historischen Forschung ergänzen, verbessern oder gar widerlegen. Und er behält auch die 33 in Ermreuth geborenen, dann aber über ganz Süddeutschland verstreuten Juden im Auge. Die Broschüre ist keine Anklageschrift. Sie möchte den Opfern eine Stimme geben. Und das Ausmaß des Holocaust auch in kleineren Gemeinden sichtbar machen.
ⓘ Die 40-seitige Broschüre "Die letzten Juden von Ermreuth" ist gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro beim Verfasser Rolf Kilian Kießling, Telefon (0 9191) 3 15 40, erhältlich.
Originalbericht enthält Fotos, die wir aus rechtlichen Gründen nicht hier einstellen dürfen