Schwere Vorwürfe gegen Neunkirchner Firma Tutogen
Die Neunkirchner Firma Tutogen verarbeitet Gewebe von Verstorbenen zu medizinischen Implantaten. Nun erhebt eine Journalistin gravierende Vorwürfe: Die Körperteile seien illegal in der Ukraine entnommen worden - teils ohne Wissen der Angehörigen.
Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück und gibt sich transparent.
NEUNKIRCHEN - Ein weißer Transporter, in seinem Inneren Kühlboxen voll mit Leichenteilen. Auf den Behältern kleben Schilder, "Tutogen" steht auf ihnen. Daneben liegen Briefumschläge mit Bargeld und Autopsieberichte. Ein dreiviertel Jahr ist es her, da machte der ukrainische Inlandsgeheimdienst laut der Schilderung der Wochenzeitung Zeit diese Entdeckung.
Der Verdacht: Die Firma Tutogen mit Sitz in Neunkirchen am Brand und ihre US-Mutterfirma RTI Biologics sind involviert in Geschäfte mit illegal entnommenem Gewebe von Verstorbenen in der Ukraine. Dort, so schreibt es die Journalistin Martina Keller, habe Tutogens Partnerfirma Bioimplant in rechtsmedizinischen Instituten Körperteile entnehmen lassen - in vielen Fällen ohne die Zustimmung der Angehörigen.
"Ich fühlte mich ganz krank"
Eine Ärztin habe sie gefragt, ob ein Sehnenteil am Fuß ihres verstorbenen Sohnes entnommen werden könne - dieses könne neugeborenen Babys das Leben retten, erzählt die Ukrainerin Lubow Frolowa der Zeit. Sie stimmte zu. In dem weißen Transporter seien dann auch Körperteile ihres Sohnes gefunden worden - weit mehr als nur das Sehnenteil: "Zwei Rippen, zwei Achillessehnen, zwei Ellbogen, zwei Gehörknöchelchen... Ich konnte das nicht zu Ende lesen, ich fühlte mich ganz krank", so Lubow Frolowa.
Neunkirchen, 2000 Kilometer westlich. Eine dünne Regenschicht liegt auf dem Parkplatz der Firma Tutogen. Die meisten der 160 Mitarbeiter sind schon im Feierabend, nur in manchen Fenstern brennt Licht. Unternehmenssprecherin Sabine Rohde geleitet in den Besprechungsraum "Kalchreuth". Tutogen stellt sich den Vorwürfen, hat sich Transparenz auf die Fahnen geschrieben. Das war nicht immer so.
Bis vor wenigen Jahren genoss die Firma einen hervorragenden Ruf, vor allem in Neunkirchen. Die Marktgemeinde ließ die Firma Produkte im Rathaus ausstellen, 2007 ging der "Jobstar" des Marketingvereins der Metropolregion an Tutogen. Das alles änderte sich im August 2009. Das Nachrichtenmagazin Spiegel veröffentlichte damals einen Artikel mit der Überschrift "42,90 Euro pro Arm". So viel, hieß es, bezahle Tutogen an die Partner in der Ukraine. Schon damals erhob Martina Keller, die nun auch den Beitrag in der Zeit verfasste und eine Dokumentation für den WDR drehte, den Vorwurf der illegalen Gewebeentnahme. Die Firma, die gegenüber Journalisten durch eine ortsfremde PR-Agentur vertreten wurde, gab sich zugeknöpft. Der Artikel blieb ohne juristische Konsequenzen: Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf ein Ermittlungsverfahren.
Nun ist Tutogen selbst vor Gericht gezogen. Die Firma wende sich gegen die "tendenziöse Berichterstattung" der Journalistin Keller. So seien im WDR "brutal anmutende" Aufnahmen aus ukrainischen Autopsiesälen gezeigt worden. "Diese haben jedoch mit einer Gewebeentnahme nichts zu tun", so Sprecherin Rohde. Eine solche finde unter strengen hygienischen Anforderungen statt.
Auch die eingangs erwähnten Behälter mit der Aufschrift "Tutogen" hätten keinesfalls - wie der Eindruck erweckt wurde - Gewebeteile enthalten, sondern Salzlösung, die die Firma den ukrainischen Partnern für die Entnahme zur Verfügung stelle.
Regelmäßige Kontrollen vor Ort
Die Vorwürfe nehme die Firma ernst und sei bereit, den nun ermittelnden Behörden in der Ukraine sämtliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Sprecherin Rohde sagt zu den in der Presse geschilderten Fällen jedoch: "Wir können uns das nicht vorstellen." Regelmäßig hätten die Zentrale Arzneimittelüberwachung Bayern (ZAB), ihr US-Pendant, die Food and Drug Administration, sowie die Firma selbst Inspektionen bei den Entnahmestätten in der Ukraine durchgeführt. "Uns wurde regelmäßig bestätigt, dass alles nach deutschem Arzneimittelrecht, Transplantationsrichtlinien und landesspezifischem Recht durchgeführt wurde", so Sprecherin Rohde. Insbesondere die Einverständniserklärungen der Angehörigen lägen vor. "Das System ist gut." Die Lizenzen, die Tutogen den Import von Gewebe erlauben, hat die Firma für die Ukraine mittlerweile zurückgegeben. Der Schritt gehe jedoch nicht darauf zurück, nun anstehende Kontrollen durch die Behörden zu verhindern, wie in der Zeit geschildert. Vielmehr sei die ZAB explizit eingeladen worden, die Inspektionen trotzdem durchzuführen. Grund für die Rückgabe seien "Umstrukturierungen". Tutogen behalte sich aber vor, zu einem späteren Zeitpunkt wieder mit der Partnerfirma in der Ukraine zusammenzuarbeiten.
ZUR SACHE
Eingesetzt bei OPs Gewebe soll Patienten helfen
Aus der Ukraine und anderen Ländern, aber auch aus Deutschland erhält Tutogen Gewebe, also etwa Knochen, Muskelhaut und Sehnen von Verstorbenen. Voraussetzung ist, dass die Angehörigen schriftlich zugestimmt haben. Zudem gelten auch im Ausland die deutschen gesetzlichen Bestimmungen. In Neunkirchen wird das Gewebe nach dem so genannten Tutoplast-Verfahren zu medizinischen Implantaten verarbeitet, die völlig steril sind. Diese werden eingesetzt etwa bei Operationen zum Wiederherstellen von Sehnen und Bändern. Vor allem in den Vereinigten Staaten setzen Sportmediziner deshalb stark auf das aufbereitete Gewebe. In Deutschland werden meist synthetisch hergestellte Implantate verwendet.
Eine Gewebespende sei immer freiwillig, betont Tutogen. Es fließe - abgesehen von einer Aufwandsentschädigung für die Entnahmeprozedur durch die Institute vor Ort - kein Geld.mak
VON MANUEL KUGLER
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