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Gewalt und Hetze

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Wie die NSDAP um 1930 in Forchheim auftrat

VON MANFRED FRANZE
Vor 80 Jahren setzten die Nationalsozialisten auch in Forchheim und der Fränkischen Schweiz ihren Machtanspruch mit einer Mischung aus Legalität und brutalem Terror durch. In einer Artikelserie blicken die NN darauf zurück. Die erste Folge befasste sich mit der sozialen Lage in der Fränkischen Schweiz in den 1920er Jahren. Heute geht es darum, mit welchen Methoden die lokalen Nazis bis 1930 auftraten.
FORCHHEIM - Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg sammelten sich auch in Forchheim rechtsradikal Gesinnte in deutschvölkischen Gruppierungen. Aus dieser Anhängerschaft kamen die Mitglieder der im Februar 1922 gegründeten NSDAP-Ortsgruppe unter der Führung des Kaufmanns Gottlieb Kärgelein (1890-1966).
1924 wurde er in den Stadtrat gewählt und gab von da an sechs Jahre lang eine eigene Zeitung heraus. Der Streiter erschien zunächst wöchentlich, später 14-tägig in einer Auflage von etwa 1000 Stück. Wie Der Stürmer hetzte das Kampfblatt gegen die örtlichen Juden und den Ersten Bürgermeister Dr. Hans Knorr (1892-1937). Der vielen Beschwerden wegen übernahm Gauleiter Hans Schemm im Juni 1928 formal die Schriftleitung, um mit seiner Immunität als Landtagsabgeordneter das Blatt juristisch zu schützen, legte aber nach Beschlagnahmen und Zivilklagen zwei Jahre später seine Verantwortlichkeit nieder. Kärgelein selbst kam mehr oder weniger ungeschoren davon, weil die Bamberger Strafkammer seinen beleidigenden Kampagnen - wie damals üblich bei Angriffen von Rechts in Deutschland - keine Grenzen setzte.
Über Forchheim hinaus hatte die NSDAP bis 1930 keine eigenen Ortsgruppen. Das änderte sich, als im Frühjahr in Berlin der Reichstag keine Lösung im Streit um die Arbeitslosenversicherung fand und Reichpräsident Hindenburg den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragte, einem "Präsidialkabinett".
Gegen seinen mit "Notverordnungen" durchgesetzten scharfen Sparkurs demonstrierten nicht nur Gewerkschaften, sondern auch die Nationalsozialisten. Um größere Ausschreitungen zu verhindern, erließ Bayern - noch bevor das auf Reichsebene geschah - ein generelles Uniformverbot für politische Kundgebungen unter freiem Himmel. Für Forchheim und sein Umland wirkte sich das zunächst nicht aus, weil - wie Landrat Ernst Recht an die Regierung meldete - hier "Organisationen mit Parteiuniformen bisher noch nicht bestehen".

Bereits Fuß gefasst
Tatsächlich hatten aber zu diesem Zeitpunkt die Nationalsozialisten im Forchheimer Umland und in der Fränkischen Schweiz organisatorisch bereits Fuß gefasst. Nach Auftritten von Karl Holz (1895-1945) aus Nürnberg und Hans Schemm (1891-1935) aus Bayreuth waren in Gräfenberg im März 1930 unter Führung des praktischen Arztes Carl Ittameier (1882-1978) und in Heiligenstadt auf Initiative von Karl Schmidt die ersten NSDAP-Ortsgruppen gegründet worden. Schmidt führte in Heiligenstadt ein Baugeschäft und erhielt politische Unterstützung aus Bamberg und Forchheim. Wenige Wochen später kam es dann auch in Plankenfels nach einem Auftritt von Hans Schemm zur Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe mit 14 Mitgliedern.
Dafür aber erlebte die Forchheimer NSDAP-Ortsgruppe einen Rückschlag. Kärgelein musste als Herausgeber des Streiters zurücktreten. Man munkelte, so der Landrat, er habe "des Verdienstes wegen mit einzelnen politischen Gegnern größere Versicherungen abgeschlossen und sich damit verkauft". Andere hätten kritisiert, daß er "sämtliche Einnahmen aus der Zeitung stets zur Deckung seiner Betriebsausgaben aufgebraucht und daher die Partei nichts verdient habe". Weil das Blatt ab Juli 1930 nur noch als Ableger der Bamberger NSDAP-Zeitung Die Flamme erschien, verlor es an Zugkraft und wurde im Februar 1931 ganz eingestellt. Im Juli 1930 lehnte der Reichstag eine Notverordnung der Reichsregierung zu Steuerfragen ab. Das entsprach durchaus der Verfassung, nicht aber, wie der Reichskanzler in Absprache mit dem Reichspräsidenten darauf reagierte: Der Reichstag wurde aufgelöst und für den 14. September 1930 Neuwahlen ausgeschrieben.
Erst drei Wochen vor der Wahl begann auch in Forchheim und in der Fränkischen Schweiz der Wahlkampf. Entgegen der strikten Anordnung ihrer Münchner Parteiführung hielten sich die örtlichen Nationalsozialisten nicht an das von der Staatsregierung verhängte Uniformverbot. Die Polizei beobachtete z.B. in Neunkirchen, wie "28 Nationalsozialisten aus Erlangen" auf einem Lastkraftwagen in "Mänteln von grauer, gelber oder schwarzer Farbe" zu einer NSDAP-Veranstaltung vorfuhren. "Vor der Wirtschaft angekommen, legten sie wie auf Kommando ihre Mäntel ab und betraten in voller Uniform das Wirtsanwesen, wo sie während der Versammlung für den allerdings gar nicht benötigten Saalschutz sorgten." Dagegen eingeschritten wurde ebenso wenig wie bei der Propagierung ihrer Ziele in aller Öffentlichkeit: Übernahme der Macht auf "legalem Weg" und dann Abschaffung von Demokratie und Parlamentarismus. Auf einem Plakat zu einer NSDAP-Kundgebung in Bamberg riefen sie "die breiten Massen des arbeitenden deutschen Volkes auf zum Widerstand gegen den Wahnsinn des heutigen Erfüllungssystems. Das Deutschland von gestern hat ausgespielt. Seine parlamentarischen Parteien haben sich als unfähig erwiesen, unser Schicksal zu meistern und Herr zu werden über den drohenden Zusammenbruch. Erst muss mit dem parasitären Gesindel aufgeräumt werden, das seit 1918 mit System und planvoller Niedertracht das öffentliche Leben in Deutschland verpestet."

Stimmzettel als Waffe
"Jetzt oder nie", so die Hetzschrift weiter, "ist die Zukunft der Nation in die Hand des Volkes gelegt. Der Stimmzettel ist dieses Mal die Waffe, mit der die belogenen und betrogenen arbeitenden Massen der Korruption, dem Steuerbolschewismus und dem Verfall auf allen Gebieten ein Ende machen können. Der Nationalsozialismus ist Träger und Vollstrecker dieser Abrechnung. Er hat das System von heute seit zehn Jahren kompromisslos bekämpft und ist deshalb von den Mächten des Untermenschentums mit Lüge und Brutalität niedergeknüppelt worden. Der Tag der Erfüllung ist nun nah. Der 14. September wird und muss darüber entscheiden, ob Deutschlands Untergang oder Neubau bevorsteht." Die aggressive Hetze verschärfte die politische Auseinandersetzung ebenso wie die neue Art, uniformiert in der Öffentlichkeit aufzutreten. Nicht als "Partei" wie jede andere wollte die NSDAP wahrgenommen werden, sondern als revolutionäre "Bewegung", die radikal, aber diszipliniert ein neues Deutschland im Kampf zu schaffen bereit war.
Stramm marschierten ihre Anhänger auf Straßen und Plätzen auf, vereinnahmten das traditionelle Heldengedenken für sich und propagierten die Verheißung eines Führers, der Deutschland aus seiner Not befreien würde. Als Hitler im August 1930 auch in Forchheim in der Vf B-Halle zu einer Wahlkundgebung aufrief, rückten aus ganz Nordbayern massenweise Kolonnen - trotz Verbots - uniformiert an.
Der Wiesent-Bote beschreibt, wie in Ebermannstadt "ein Trupp Hitlerleute aus Bayreuth und dem Hinterland. ..auf einigen Lastautos durch unser Städtchen fuhr und Halt machte. Nach einem geschlossenen Marsch, voran eine Musikkapelle, marschierte die Truppe zum Marktplatz, woselbst Landtagsabg. Hauptlehrer Schemm-Bayreuth eine Ansprache hielt, wobei er die unheilvollen Auswirkungen des Versailler Diktats und das Verhalten der Bayer. Volkspartei geißelte. Nach seiner Auffassung sei die gegenwärtige Zeitperiode eine Erwachung zu Deutschlands Befreiung. Des Redners Hoch galt dem Führer der Nationalsozialisten Adolf Hitler. Zum Andenken an die gefallenen Frontsoldaten spielte die Kapelle das Lied vom guten Kameraden. Zu dem nationalsozialistischen Stelldichein hatten sich viele Zuhörer eingefunden, worauf die Hitlerleute ihre Fahrt nach Forchheim fortsetzten."

Originalbericht enthält Fotos, die wir aus rechtlichen Gründen nicht hier einstellen dürfen

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