Die verhinderte Moderne in der Region - Birgit Rauschert stellt in ihrem Buch vier Künstler um Felix Müller vor
Mit einem kunsthistorischen Vortrag im Felix Müller-Museum starteten die 7. Neunkirchener Kulturtage. Dr. Birgit Rauschert (Erlangen) erzählte darin ein Kapitel der "verhinderten Moderne". Anhand der Lebensläufe der vier Künstler Fritz Griebel (1899-1969), Eitel Klein (1906-1990), Leo Smigay (1900-1970) und natürlich Felix Müller (1904-1997) brachte sie "Nürnbergs vergessene Kunst" in die Erinnerung zurück.
NEUNKIRCHEN - "Bei den Experten für moderne Kunst stoße ich auf großen Widerstand. Einige sprechen sogar von einem "Feld für Provinzarchäologen". Die NS-Diktatur und der Zweite Weltkrieg hinderten die zweite Generation der klassischen Moderne, zumeist Expressionisten, an ihrer künstlerischen Entfaltung und Bekanntwerdung. Ihre "entartete Kunst" wurde nach 1933 verboten und vernichtet. Die Erlebnisse der Unfreiheit und des Krieges, an dem einige aus der Region wie Felix Müller und Eitel Klein als Soldaten teilnehmen mussten, erzwangen nach 1945 geradezu einen Stilwechsel.
Birgit Rauschert hat sich in ihrer Dissertation, die nun in leserfreundlicher Überarbeitung als Buch erscheint, einem kaum beachteten Bereich der Kunstgeschichte zugewandt. "Es zählt ja nicht nur das künstlerische Genie, sondern auch die es prägende Zeit und das soziale Umfeld", so die 51-jährige Coburgerin. Das rund um 1900 geborene Quartett Fritz Griebel, Leo Smigay, Felix Müller und Eitel Klein nimmt die Kunsthistorikerin ins Blickfeld.
Nur "schöne Bilder"
Fritz Griebel, der in Heroldsberg aufwuchs, wandte sich nach impressionistischen Aquarellen, die Cezanne als Idol nicht verleugnen, vor allem dem Scherenschnitt zu. Als Autodidakt führte er diese filigranen Miniaturen zu neuen Höhepunkten. Stilistisch zählt Birgit Rauschert den tiefgläubigen Künstler der Neuen Sachlichkeit zu, der sich klug über die "braune Zeit" zu schweigen wusste. Bei ihm finden sich keine expressionistische Dekadenz, Erotik oder Elend, wie bei seinen Künstlerfreunden. "Er kam der Nazikunst gefährlich nahe. Es sind schöne Bilder, aber keine Kunst." Nach 1945 wurde der Einzelgänger zum abstrakten Maler und zum Direktor der Kunstakademie Nürnberg.
Eitel Klein gilt "als großer eigenwilliger Erzähler", der mit seinen atmosphärischen Schilderungen die Landschaften rund um Nürnberg auf die Leinwand gebannt hat. Bei ihm ist der expressionistische Einfluss des "Blauen Reiters", besonders Kandinskys und Marcs unverkennbar. Sowohl Griebel als auch Klein blieben nach ihrem Studium in Berlin und München in Nürnberg. Klein wandte sich dort der Wandmalerei zu, die er an der Fassade des Hersbrucker Rathauses zur subversiven Perfektion getrieben hatte. Auf den ersten Blick ein nationalsozialistisches Propagandastück, bei näherem Hinsehen ein in Details stilistisches Unterlaufen mit verschlüsselten Botschaften. Nach dem Krieg haben die Hersbrucker das Gebäude übrigens in Brand gesetzt. Klein selbst wurde, auch durch seine lange Kriegsgefangenschaft zum "stillen Melancholiker", zum "illusionslosen Skeptiker", der um seine besten Jahre betrogen worden war.
War die Weimarer Republik eine für Künstler sehr anregende Zeit, so verkümmerten viele hoffnungsvolle Talente nach der "Machterschleichung". In ihrer wissenschaftlichen Pioniertat hat Birgit Rauschert diesen verfemten Künstlern ein literarisches Denkmal gesetzt. Nicht wegen seiner Kunst, wohl aber seiner kommunistischen Überzeugung wegen wurde Leo Smigay ausgegrenzt und verfolgt. Der Schlesier, der schon Anfang der 20er Jahre nach der Niederschlagung der Aufstände im Ruhrgebiet ins Ausland flüchten musste, hat in seinen Holzskulpturen seine Zeit als Weltenbummler eingefangen. Seine ägyptisch und fernöstlich stimulierten "Asiatica" gilt es noch heute zu entdecken. "Er ist in seiner Wahlheimat Nürnberg fast völlig vergessen." Selbst in Haft, seine Frau starb bei einem Gestapo-Verhör, wurde Smigay nach 1945 in seinen Objekten immer abstrakter. Schließlich wandte er sich der von Ernst Ludwig Kirchner geprägten klassischen Moderne mit archaischen Formen zu.
Nachfolger der Brücke
Umgeben von seinen Werken durfte natürlich Felix Müller nicht fehlen. Sein Grabstein in Großenbuch bietet versteckte Hinweise auf das 1906 erschienene Manifest der expressionistischen Künstlervereinigung "Die Brücke". Er verstand sich laut Rauschert als deren Nachfolger. Wie seine drei Kollegen Gegner des NS-Regimes, schuf er seine ausdrucksstärksten Werke während der Nazi-Diktatur, in der er sein Vorbild Ernst Barlach nicht epigonal nachahmte, sondern in Klarheit und Expression sogar weit übertraf. Wie sein Freund Klein in Hetzles, so hatte Müller ein Versteck in Laubendorf. Sein Spätwerk, er lebte von 1948 bis zu seinem Tode ja in Neunkirchen, ist vom Symbolismus, von religiösen Themen und der Attitüde des Predigers geprägt. "Für viele war es nach Kriegsende schwer, Fuß zu fassen. Einige wurden sogar noch stärker bekämpft." Als Beispiel dient Rauschert die Zerstörung des Müllerschen Kreuzweges bei Langenzenn. Anerkennung erhalten die regionalen Künstler erst jetzt, lange Jahre nach ihrem Tode. Was besonders Birgit Rauscherts akribischer Spurensuche in Briefen, Aufzeichnungen und Tagebüchern zu verdanken ist. Sie lässt die Menschen, die vom "Dritten Reich" zum Verstummen gebracht werden sollten, zu Wort kommen. "Es ist trotz aller Rückschläge doch ermutigend, wie viele Meisterwerke sich im Privatbesitz noch erhalten haben", so Birgit Rauschert. "Es tauchen immer neue Schätze auf." UDO GÜLDNER
Birgit Rauschert: Die verhinderte Moderne. Nürnbergs vergessene Kunst, Großformat, gebunden, 350 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Röll-Verlag Dettelbach, erscheint demnächst zum Preis von 98 Euro, ISBN-Nr. 978-3-89754-382-9.
Mit einem kunsthistorischen Vortrag im Felix Müller-Museum starteten die 7. Neunkirchener Kulturtage. Dr. Birgit Rauschert (Erlangen) erzählte darin ein Kapitel der "verhinderten Moderne". Anhand der Lebensläufe der vier Künstler Fritz Griebel (1899-1969), Eitel Klein (1906-1990), Leo Smigay (1900-1970) und natürlich Felix Müller (1904-1997) brachte sie "Nürnbergs vergessene Kunst" in die Erinnerung zurück.
NEUNKIRCHEN - "Bei den Experten für moderne Kunst stoße ich auf großen Widerstand. Einige sprechen sogar von einem "Feld für Provinzarchäologen". Die NS-Diktatur und der Zweite Weltkrieg hinderten die zweite Generation der klassischen Moderne, zumeist Expressionisten, an ihrer künstlerischen Entfaltung und Bekanntwerdung. Ihre "entartete Kunst" wurde nach 1933 verboten und vernichtet. Die Erlebnisse der Unfreiheit und des Krieges, an dem einige aus der Region wie Felix Müller und Eitel Klein als Soldaten teilnehmen mussten, erzwangen nach 1945 geradezu einen Stilwechsel.
Birgit Rauschert hat sich in ihrer Dissertation, die nun in leserfreundlicher Überarbeitung als Buch erscheint, einem kaum beachteten Bereich der Kunstgeschichte zugewandt. "Es zählt ja nicht nur das künstlerische Genie, sondern auch die es prägende Zeit und das soziale Umfeld", so die 51-jährige Coburgerin. Das rund um 1900 geborene Quartett Fritz Griebel, Leo Smigay, Felix Müller und Eitel Klein nimmt die Kunsthistorikerin ins Blickfeld.
Nur "schöne Bilder"
Fritz Griebel, der in Heroldsberg aufwuchs, wandte sich nach impressionistischen Aquarellen, die Cezanne als Idol nicht verleugnen, vor allem dem Scherenschnitt zu. Als Autodidakt führte er diese filigranen Miniaturen zu neuen Höhepunkten. Stilistisch zählt Birgit Rauschert den tiefgläubigen Künstler der Neuen Sachlichkeit zu, der sich klug über die "braune Zeit" zu schweigen wusste. Bei ihm finden sich keine expressionistische Dekadenz, Erotik oder Elend, wie bei seinen Künstlerfreunden. "Er kam der Nazikunst gefährlich nahe. Es sind schöne Bilder, aber keine Kunst." Nach 1945 wurde der Einzelgänger zum abstrakten Maler und zum Direktor der Kunstakademie Nürnberg.
Eitel Klein gilt "als großer eigenwilliger Erzähler", der mit seinen atmosphärischen Schilderungen die Landschaften rund um Nürnberg auf die Leinwand gebannt hat. Bei ihm ist der expressionistische Einfluss des "Blauen Reiters", besonders Kandinskys und Marcs unverkennbar. Sowohl Griebel als auch Klein blieben nach ihrem Studium in Berlin und München in Nürnberg. Klein wandte sich dort der Wandmalerei zu, die er an der Fassade des Hersbrucker Rathauses zur subversiven Perfektion getrieben hatte. Auf den ersten Blick ein nationalsozialistisches Propagandastück, bei näherem Hinsehen ein in Details stilistisches Unterlaufen mit verschlüsselten Botschaften. Nach dem Krieg haben die Hersbrucker das Gebäude übrigens in Brand gesetzt. Klein selbst wurde, auch durch seine lange Kriegsgefangenschaft zum "stillen Melancholiker", zum "illusionslosen Skeptiker", der um seine besten Jahre betrogen worden war.
War die Weimarer Republik eine für Künstler sehr anregende Zeit, so verkümmerten viele hoffnungsvolle Talente nach der "Machterschleichung". In ihrer wissenschaftlichen Pioniertat hat Birgit Rauschert diesen verfemten Künstlern ein literarisches Denkmal gesetzt. Nicht wegen seiner Kunst, wohl aber seiner kommunistischen Überzeugung wegen wurde Leo Smigay ausgegrenzt und verfolgt. Der Schlesier, der schon Anfang der 20er Jahre nach der Niederschlagung der Aufstände im Ruhrgebiet ins Ausland flüchten musste, hat in seinen Holzskulpturen seine Zeit als Weltenbummler eingefangen. Seine ägyptisch und fernöstlich stimulierten "Asiatica" gilt es noch heute zu entdecken. "Er ist in seiner Wahlheimat Nürnberg fast völlig vergessen." Selbst in Haft, seine Frau starb bei einem Gestapo-Verhör, wurde Smigay nach 1945 in seinen Objekten immer abstrakter. Schließlich wandte er sich der von Ernst Ludwig Kirchner geprägten klassischen Moderne mit archaischen Formen zu.
Nachfolger der Brücke
Umgeben von seinen Werken durfte natürlich Felix Müller nicht fehlen. Sein Grabstein in Großenbuch bietet versteckte Hinweise auf das 1906 erschienene Manifest der expressionistischen Künstlervereinigung "Die Brücke". Er verstand sich laut Rauschert als deren Nachfolger. Wie seine drei Kollegen Gegner des NS-Regimes, schuf er seine ausdrucksstärksten Werke während der Nazi-Diktatur, in der er sein Vorbild Ernst Barlach nicht epigonal nachahmte, sondern in Klarheit und Expression sogar weit übertraf. Wie sein Freund Klein in Hetzles, so hatte Müller ein Versteck in Laubendorf. Sein Spätwerk, er lebte von 1948 bis zu seinem Tode ja in Neunkirchen, ist vom Symbolismus, von religiösen Themen und der Attitüde des Predigers geprägt. "Für viele war es nach Kriegsende schwer, Fuß zu fassen. Einige wurden sogar noch stärker bekämpft." Als Beispiel dient Rauschert die Zerstörung des Müllerschen Kreuzweges bei Langenzenn. Anerkennung erhalten die regionalen Künstler erst jetzt, lange Jahre nach ihrem Tode. Was besonders Birgit Rauscherts akribischer Spurensuche in Briefen, Aufzeichnungen und Tagebüchern zu verdanken ist. Sie lässt die Menschen, die vom "Dritten Reich" zum Verstummen gebracht werden sollten, zu Wort kommen. "Es ist trotz aller Rückschläge doch ermutigend, wie viele Meisterwerke sich im Privatbesitz noch erhalten haben", so Birgit Rauschert. "Es tauchen immer neue Schätze auf." UDO GÜLDNER
Birgit Rauschert: Die verhinderte Moderne. Nürnbergs vergessene Kunst, Großformat, gebunden, 350 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Röll-Verlag Dettelbach, erscheint demnächst zum Preis von 98 Euro, ISBN-Nr. 978-3-89754-382-9.