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Channel: Neunkirchen am Brand - Pressemeldungen
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Nur Plankton im Meer der Finanzhaie

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Claus von Wagner nimmt in seinem neuen Programm die Geldmärkte aufs Korn

Die Zehntscheune in Neunkirchen ist mit rund 300 Besuchern beim Sparkassen- Kabarett prall gefüllt. Der Münchner Kabarettist Claus von Wagner hat sein neues Programm "Theorie der feinen Menschen" mitgebracht. Nach drei Stunden claus-trophobischen Horrors sind die 7. Neunkirchener Kulturtage um einen Höhepunkt reicher.
Und um die Einsicht, dass das politische Kabarett eine neue Generation junger Wilder hat.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen nur kurz ein Bankschließfach leeren, werden dann aber aus Versehen im Tresorraum eingeschlossen. Klaus Neumann, dem fiktiven Doppelgänger Claus von Wagners, geht es in der Deutschen Bank so. Eine Nacht lang hat er Zeit und Gelegenheit, in den Unterlagen seines Vaters, eines Anwalts einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, zu stöbern. Bis er nach 13 Stunden, immenser Mengen Alkohols und immer weniger werdender Luft versteht: "Die Finanzmärkte sind die organisierte Suche nach dem größten Deppen. Und wir sind das Plankton im Meer der Finanzhaie." Zwischen all den theoretischen Ausuferungen braucht es veganes Mineralwasser und Walnusskerne, die Spuren von Nüssen enthalten können, um die intellektuelle Bodenhaftung nicht zu sehr zu verlieren. Denn Claus von Wagner hat es tatsächlich gewagt, nicht etwa harmloses Mario-Barth-Beziehungsgelaber oder das bereits anderswo vielfach gehörte Parodieren letztlich sich selbst entmachtender Landes- und Bundespolitiker auf die Bühne zu bringen.

Alles Phrasenblasen
Im Zentrum seiner hochpolitischen "Theorie der feinen Menschen" stehen die Finanzmärkte, Investmentbanker und Ratingagenturen. Also die wirklich Mächtigen. Auf den ersten Blick ein sperriges Thema. Denn die Finanzsprache entpuppt sich bei näherem Hinhören als Phrasenblase, das davon ablenken soll, wer hier wen regiert. Nichtssagende Vernebelungsrhetorik wie stagnierende Seitwärtsbewegung (für Stillstand) oder Negativwachstum (für Verlust) macht den Münchner Wortakrobaten "ganz hibbelig".
Kaum einer aus der wirtschaftlichen "Elite" kommt ohne verbale Attacken davon. Nicht die reichen Spender, die selbst bestimmen, wer ihre vermiedenen Steuergelder bekommt, und deren öffentlichkeitswirksame Schecks man noch vom Weltall aus sehen kann. Nicht die Wirtschafts- Ethiker, die sich besser für eines ihrer Fächer entschieden hätten. Und auch nicht die sogenannten Finanzexperten, die ihre Meinung, so sie denn eine haben, die noch nicht gekauft wurde, mitten im Satz ändern.
Zwischen der Frage, warum es deutschen Arbeitnehmern denn in Zukunft besser gehen solle als ihren Kollegen in Bangladesch und wie man den Reichen helfen könne, ihre Rückenschmerzen wegen der drückenden Steuerlast zu mindern, hat Claus von Wagner einen höflichen, aber revolutionären Vorschlag: "Wir leben nicht über unsere Verhältnisse. Wir besteuern unter unseren Möglichkeiten." Der stets korrekt gekleidete und schelmisch grinsende Kabarettist schafft das, was im heutigen Kabarett, aber vor allem Comedy-Betrieb zur Seltenheit geworden zu sein scheint. Keine Häppchen, keine Schnipsel, kein Klein-Klein.
Stattdessen hat der 35-Jährige vom Ersten Deutschen Zwangsensemble einen epischen Ansatz. Eine theatralische Rahmenhandlung voller linker Haken. Mit einfachen Beispielen bricht der studierte Historiker die angeblich komplizierten Vorgänge immer wieder auf verständliches Maß herunter. Anhand einer Reihe von Kapuzineräffchen erläutert er den Geldkreislauf, und warum mehr Geld die sozialen Strukturen zerstört. Anhand einer Gans schildert er, wie wohl sich Anleger zu Beginn ihrer Investition fühlen. "Am wohlsten noch einen Tag vor Weihnachten." Und welch (un-) erwartetes Ende es nimmt.

Gewissheiten hinterfragt
Anhand eines Linienfluges mit ständigen Horrordurchsagen des Kapitäns schildert er den Verlauf der Euro-Krise. Bis die verunsicherten Passagiere der zweiten Klasse bemerken, dass die Fluggäste der ersten Klasse inzwischen mit Rettungsschirmen in Sicherheit gebracht worden sind. Auch die unhinterfragten Gewissheiten wie "Geld arbeitet", "was werden die Märkte dazu sagen" und das Brutto-Irrsinns-Produkt entblößt er mit geradezu boshafter Freude an der Demaskierung.
Claus von Wagners Sache ist die Pointen-Kaskade à la Urban Priol nicht, vielmehr der gewissenhafte Aufbau seiner Erkenntnis-Tiefschläge, die zwar nicht so viele Einschläge zurücklassen, wohl aber größere Krater. Ein Paradestück ist sein Exkurs zu Derivaten, die er als Pferdewetten enttarnt. "Was meinen sie, wie viel Arbeit es bedeutet, einem Rentner das Geld aus der Tasche zu ziehen." Am besten mit Wetten auf das frühere Ableben von Senioren. Nur der medizinische Fortschritt darf nicht dazwischenkommen. "Die Investmentbanker foltern die Zahlen dann solange, bis die gewünschte Rendite herauskommt." Finanzalchemie nennt Claus von Wagner diese höhere Art der Mathematik. Denn "Kleinsparer machen auch Mist".
Am Ende darf Klaus Neumann den Tresorraum verlassen. Die Zuschauer aber, und auch Claus von Wagner, bleiben weiter gefangen, zwischen ahnungslosen oder beihelfenden Aufsichtsräten, zwischen Bankberater-Raubfischen und einer Bankenaufsicht, die auf Sicht nicht kontrollieren dürfen soll. Einen Anlagetipp gibt es beim Hinausgehen auch noch: "Kaufen sie Eintrittskarten fürs Kabarett. Das Geld ist gut angelegt." UDO GÜLDNER

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