Neu erschienenes Buch belegt: Anschläge von Neonazis sind eine Konstante in der Geschichte der Bundesrepublik
Wenn heute der Bundestag über den Abschlussbericht des NSU-Ausschusses debattiert und am Donnerstag der Zschäpe-Prozess weitergeht, werden wieder Fragen nach Ursachen und Hintergründen des Neonazi-Terrors laut.
Hilfreich kann dabei ein Blick in die Geschichte sein, den die beiden Rechtsextremismus-Experten Andrea Röpke und Andreas Speit anbieten.
Wer sich, wie Röpke und Speit in ihrem neuen Buch "Blut und Ehre", die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ansieht, stellt fest: Rechtsradikale Gewalt haben Polizei und Justiz, gerade im Vergleich mit linksradikalen Delikten, in der Vergangenheit meist eher halbherzig geahndet. Und: Rechtsextreme Hetze sowie Partei- und Netzwerk-Strukturen existieren seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Wer nun, wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) meint, man habe sich nicht vorstellen können, dass es "tatsächlich terroristische Organisationen oder Zellen geben könnte, die mordend durchs Land laufen", dem sei das Buch ans Herz gelegt.
Es belegt: Die Entwicklung war eigentlich vorhersehbar. Es gab auch frühzeitige Warnungen, aber sie wurden von Behörden und Politikern abgewiegelt und kaum ernst genommen.
Die Spur rechter Gewalt zieht sich durch die gesamte Nachkriegsgeschichte: So bildete sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg - ganz in der Tradition und mit ehemaligen Führungskadern des Nationalsozialismus an der Spitze - eine erstarkende Neonazi-Szene. Das zeigen Gründungen der Sozialistischen Reichspartei (SRP), der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) oder der Wiking-Jugend. Dem braunen Geist entsprechend folgten auch bald die ersten Terror-Akte: etwa der Anschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke 1968.
Fränkische Verbindungen
Ein weiteres Beispiel ist das Oktoberfest- Attentat 1980, bei dem als Drahtzieher bis heute der Rechtsextremist Karl-Heinz Hoffmann und seine gleichnamige Wehrsportgruppe (WSG) vermutet werden. Allerdings schloss das LKA eine unmittelbare Beteiligung der paramilitärischen Truppe, die ihren Sitz im oberfränkischen Ermreuth hatte, aus. Und das, obwohl der Attentäter Gundolf Köhler zur Kampftruppe gehörte.
Bei der Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Levin und seiner Lebensgefährtin Frieda Poeschke im Dezember 1980 in Erlangen war das ähnlich. Auch hier konnte dem WSGGründer trotz zahlreicher Indizien keine direkte Verwicklung nachgewiesen werden. An der Einzeltäter-Theorie hielten Justiz und Politik aber auch später bei ausländerfeindlichen und antisemitischen Anschlägen gern fest.
Bei der NSU-Mordserie liefen die Ermittlungen dann in eine völlig falsche Richtung. Fehleinschätzungen und Vertuschungspraktiken werden sicher auch bei der heute stattfindenden Bundestagsdebatte über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses erneut zur Sprache kommen.
Der Höhepunkt, den die rechtsextreme Gewalt mit den Taten der Zwickauer Terrorzelle erreichte, ist aber vermutlich nicht ihr Endpunkt. Röpke und Speit bleiben (gemeinsam mit weiteren Autoren) nicht in der Archivarbeit stecken, sondern machen deutlich, wie neonazistische Kameradschaften und Strukturen auch nach dem Aufdecken des NSU in Deutschland unverändert vorhanden sind.
Razzia in Bayern
Ihre Recherchen führen die Verfasser dabei auch in die Region, etwa zum Freien Netz Süd, das jüngst Ziel einer Razzia der bayerischen Behörden war. Im Neonazi-Netzwerk sind immer noch Rechtsextremisten der inzwischen verbotenen Fränkischen Aktionsfront (FAF) organisiert. Ohnehin stellt Franken einen der Schwerpunkte der zum Teil militanten rechtsextremen Aktivitäten dar. Aber auch in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Osten der Republik belegen die Autoren starke neonazistische Verbindungen. Ihr Fazit: Die Terror- Gefahr von rechts ist noch lange nicht gebannt. SHARON CHAFFIN
ⓘ Andrea Röpke/Andreas Speit (Hg.): Blut und Ehre - Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland. Ch. Links Verlag, 288 Seiten, 19 ,90 Euro.
Das aktuelle Buch
Wenn heute der Bundestag über den Abschlussbericht des NSU-Ausschusses debattiert und am Donnerstag der Zschäpe-Prozess weitergeht, werden wieder Fragen nach Ursachen und Hintergründen des Neonazi-Terrors laut.
Hilfreich kann dabei ein Blick in die Geschichte sein, den die beiden Rechtsextremismus-Experten Andrea Röpke und Andreas Speit anbieten.
Wer sich, wie Röpke und Speit in ihrem neuen Buch "Blut und Ehre", die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ansieht, stellt fest: Rechtsradikale Gewalt haben Polizei und Justiz, gerade im Vergleich mit linksradikalen Delikten, in der Vergangenheit meist eher halbherzig geahndet. Und: Rechtsextreme Hetze sowie Partei- und Netzwerk-Strukturen existieren seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Wer nun, wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) meint, man habe sich nicht vorstellen können, dass es "tatsächlich terroristische Organisationen oder Zellen geben könnte, die mordend durchs Land laufen", dem sei das Buch ans Herz gelegt.
Es belegt: Die Entwicklung war eigentlich vorhersehbar. Es gab auch frühzeitige Warnungen, aber sie wurden von Behörden und Politikern abgewiegelt und kaum ernst genommen.
Die Spur rechter Gewalt zieht sich durch die gesamte Nachkriegsgeschichte: So bildete sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg - ganz in der Tradition und mit ehemaligen Führungskadern des Nationalsozialismus an der Spitze - eine erstarkende Neonazi-Szene. Das zeigen Gründungen der Sozialistischen Reichspartei (SRP), der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) oder der Wiking-Jugend. Dem braunen Geist entsprechend folgten auch bald die ersten Terror-Akte: etwa der Anschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke 1968.
Fränkische Verbindungen
Ein weiteres Beispiel ist das Oktoberfest- Attentat 1980, bei dem als Drahtzieher bis heute der Rechtsextremist Karl-Heinz Hoffmann und seine gleichnamige Wehrsportgruppe (WSG) vermutet werden. Allerdings schloss das LKA eine unmittelbare Beteiligung der paramilitärischen Truppe, die ihren Sitz im oberfränkischen Ermreuth hatte, aus. Und das, obwohl der Attentäter Gundolf Köhler zur Kampftruppe gehörte.
Bei der Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Levin und seiner Lebensgefährtin Frieda Poeschke im Dezember 1980 in Erlangen war das ähnlich. Auch hier konnte dem WSGGründer trotz zahlreicher Indizien keine direkte Verwicklung nachgewiesen werden. An der Einzeltäter-Theorie hielten Justiz und Politik aber auch später bei ausländerfeindlichen und antisemitischen Anschlägen gern fest.
Bei der NSU-Mordserie liefen die Ermittlungen dann in eine völlig falsche Richtung. Fehleinschätzungen und Vertuschungspraktiken werden sicher auch bei der heute stattfindenden Bundestagsdebatte über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses erneut zur Sprache kommen.
Der Höhepunkt, den die rechtsextreme Gewalt mit den Taten der Zwickauer Terrorzelle erreichte, ist aber vermutlich nicht ihr Endpunkt. Röpke und Speit bleiben (gemeinsam mit weiteren Autoren) nicht in der Archivarbeit stecken, sondern machen deutlich, wie neonazistische Kameradschaften und Strukturen auch nach dem Aufdecken des NSU in Deutschland unverändert vorhanden sind.
Razzia in Bayern
Ihre Recherchen führen die Verfasser dabei auch in die Region, etwa zum Freien Netz Süd, das jüngst Ziel einer Razzia der bayerischen Behörden war. Im Neonazi-Netzwerk sind immer noch Rechtsextremisten der inzwischen verbotenen Fränkischen Aktionsfront (FAF) organisiert. Ohnehin stellt Franken einen der Schwerpunkte der zum Teil militanten rechtsextremen Aktivitäten dar. Aber auch in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Osten der Republik belegen die Autoren starke neonazistische Verbindungen. Ihr Fazit: Die Terror- Gefahr von rechts ist noch lange nicht gebannt. SHARON CHAFFIN
ⓘ Andrea Röpke/Andreas Speit (Hg.): Blut und Ehre - Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland. Ch. Links Verlag, 288 Seiten, 19 ,90 Euro.
Das aktuelle Buch