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Außergewöhnliche Taufe im Handwerkerdorf

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Kleinzentrum mit vielen Betrieben: Gemeindeordnung von 1698 verrät viel über das Leben in Ermreuth


VON ROLF KIESSLING
Ermreuth um 1700: Im Dorf haben sich viele Handwerker angesiedelt. Das Zusammenleben der Familien regelt die Gemeindeordnung. Sie gibt Aufschluss über die damalige soziale und religiöse Situation.
ERMREUTH - In früheren Jahrhunderten besaßen die Dörfer eine eigene Gemeindeordnung, in der grundlegende Fragen geregelt waren. Georg Friedrich I. von Künsberg war "Herr zu Ermbreuth, Thurnau, Hagenbach etc., Hochfürstlich Brandenburg-Onolzbachischer Rath undt Ober-Ambtmann zu Creglingen". Am 6. März 1698 erließ er eine Gemeindeordnung für seine Ortschaft Ermreuth.
Überliefert ist sie in einem Buch, das Uso Freiherr von Künßberg, der letzte adelige Gutsbesitzer in Ermreuth, 1838 in München veröffentlicht hat. Dort wird zunächst die alte Gemeindeordnung wiederholt, die der vormalige Gutsbesitzer Stephan von Muffel 1537 erlassen hatte. Darin rangieren religiöse Vorschriften an vorderster Stelle. Gotteslästerliches Fluchen war ausdrücklich verboten (§ 1), die sonntäglichen Schankzeiten wurden beschränkt (§ 2), die Heiligung des Sonntags (§ 3) sollte sichergestellt werden. Strengen Vorschriften unterlag der Umgang mit offenem Feuer (§§ 4 - 7). Für die Reinhaltung der Brunnen sollte § 8 sorgen. Weitere Paragraphen regelten die Viehhaltung.

Viele Analphabeten
Im zweiten, dem neueren Teil der Gemeindeordnung ging es um die verschiedenen Ämter. Gemeindevorsteher waren die vier Viertelmeister, von denen jährlich zwei neu gewählt und zwei behalten wurden. Ihre Aufgabe bestand darin, "daß sie der Gemeind in allem wohl vorstehen, möglichstden Schaden abwenden Undt hergegen Nuzen undt Frommen befördern undt suchen." Zu bestellen waren außerdem vier Markmeister (Feldgeschworene), ein Baumwärter, ein Röhren- oder Bronnenmeister, zwei Nachtwächter und ein Gemeindehirt.
Da die Gemeindeordnung von allen männlichen Haushaltsvorständen, die schreiben konnten, unterzeichnet wurde, erfährt man, welche Familien um 1700 in Ermreuth gelebt haben. Auch 18 Männer, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren, wurden namentlich erwähnt. Obwohl Ermreuth damals bereits eine eigene Schule hatte, betrug die Analphabetenrate unter den erwachsenen Männern 42 Prozent.
Man erfährt auch, welche Berufe damals ausgeübt wurden. 23 von den 43 Haushaltsvorständen waren Handwerker. Es gab in Ermreuth um das Jahr 1700 einen Bader, vier Bäcker, zwei Büttner, zwei Metzger, einen Sattler, zwei Schneider, einen Schmied, drei Schuster, vier Weber und einen Zimmermann. Außerdem schenkten zwei Wirte Bier aus, das in Ermreuth selbst gebraut wurde. Das abgelegene Dorf war ein Kleinzentrum, in dem insgesamt elf verschiedene Gewerbe ansässig waren.
Nur zwei Familienväter werden als Bauern bezeichnet. Man kann aber wohl davon ausgehen, dass die 17 Männer, bei denen die Berufsangabe fehlt, ebenfalls von der Landwirtschaft lebten. Von den im Dorf ansässigen Juden heißt es, dass "der Viehhandel ihre einzige Nahrung" war.
1695 lebten sieben jüdische Familien in Ermreuth. Die Familienvorstände hießen Löb, Joel, Moyses, Aron, Meyer, Benjamin und Salomon. Diese hatten jedoch kein Mitspracherecht in der Gemeindeversammlung. Die Juden standen nicht einmal auf einer Stufe mit den Häuslern, den ärmeren Leuten, die keinen oder nur geringen Grundbesitz hatten. In der Gemeindeordnung kommen die Juden nur einmal vor. Das Hutgeld, also die Abgabe, die man für das Hüten von Vieh bezahlen musste, sollte für jeden jüdischen Haushalt von einem halben auf einen Gulden erhöht werden. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Juden ihre Pferde auf Gemeindegrund "behüten", weiden lassen, dass sie aber "in der Gemeind nichts arbeithen noch botten gehen", also weder die obligatorischen Gemeinschaftsdienste verrichten noch Botengänge erledigen.

Kinder aus Belgrad
Außergewöhnlich war, dass um diese Zeit zwei "Türken" in Ermreuth lebten. Am 1. Januar 1691 wurden in der Kirche St. Peter und Paul ein Türkenknabe namens Mustaph und ein Türkenmädchen namens Eupha feierlich getauft. Dass diese Taufe auch außerhalb von Ermreuth großes Aufsehen erregte, zeigt sich daran, dass angesehene Leute die Patenschaft übernahmen, nämlich Georg Stephan Decker, Stadtschreiber in Gräfenberg, für den Jungen und Susanna Cordula Held, Ehefrau des Kastners von Kunreuth, für das Mädchen. Die beiden Kinder stammten aus Griechisch Weißenburg, dem heutigen Belgrad. Uso von Künßberg vermutete: "Beide hatte wahrscheinlich Hanns Christoph von Künßberg aus dem Türkenkriege mit nach Ermreuth gebracht." Eine solche ungewöhnliche Taufe gab es bereits ein Jahr zuvor auch in Egloffstein: "Johannes Kristianus Dorack, ein gebohrener Türck, wurde in gegenwart Adeliger und viel anderer Personen allhier in der Kirche öffentlich getaufft", heißt es in einem Kirchenbuch der Pfarrei. Darauf weist der Heimatforscher und Arzt Klaus-Dieter Preis in seinem Buch "Die Kirchen Egloffsteins" hin.

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