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Gegen das Vergessen

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Kolloquium über die Anfänge der Nazi-Zeit in der Region

Fast auf den Tag genau vor 80 Jahren ging die Weimarer Republik unter, und das "Dritte Reich" erschlich sich die Macht. Die Volkshochschule beleuchtete mit einem Kolloquium "Gegen das Vergessen" in Ebermannstadt, wie sich die Diktatur in Forchheim und der Fränkischen Schweiz breitgemacht hat. Anton Eckert hatte qualifizierte Referenten eingeladen: Dr. Manfred Franze (Ebermannstadt), Rolf Kießling (Forchheim) und Thomas Greif (aus Kersbach stammend, jetzt in Burgthann ansässig).
EBERMANNSTADT - "Stellen Sie sich die beiden vergleichbaren Gemeinden Rettern und Guttenburg vor. 1932, bei der Wahl des Reichspräsidenten, bekam Hitler im katholischen Rettern keine einzige Stimme. Im evangelischen Guttenburg bekam er dagegen alle Stimmen, bis auf eine." Warum gerade die protestantischen Gemeinden besonders anfällig für die NS-Ideologie waren, berichtet Thomas Greif. "Verkürzt gesagt hatten die Katholiken nach dem Verlust des Ersten Weltkrieges und der damit einhergehenden Sinn- und Identitätskrise immer noch ihren Papst." Die Protestanten seien auf der Suche gewesen. Während die Katholiken mit der Bayerischen Volks-Partei (BVP) eine eigene Stimme hatten, hätten die protestantischen Wähler zuerst die SPD unterstützt, seien dann zu kleineren Parteien gewandert, um schließlich bei Hitler zu landen. "Reichsweit hatten die Nationalsozialisten am Ende der Weimarer Republik ihre besten Stimmergebnisse im fränkischen Riegel von Hof zum Hesselberg." Dazu gehörten auch die Orte Kunreuth, Gräfenberg, Muggendorf, Streitberg oder Hagenbach.

Wahltipp von der Kirchenkanzel
"Bei demokratischen Wahlen. Da tränen Ihnen die Augen", ist Thomas Greif verblüfft. Im katholischen Bayern seien die Protestanten unzufrieden gewesen, was sich auch nach 1918 nicht grundlegend geändert habe. "Den Katholiken hat der Pfarrer ja offen gesagt, dass sie BVP wählen sollen." Leider hätten die Protestanten erst zu spät, nämlich im Kirchenkampf, erkannt, wem sie da zur Macht verholfen hätten.
"Die Gleichschaltung hatte in den Köpfen bereits stattgefunden, noch bevor sie auch formal in Straßennamen oder im Stadtrat vollzogen wurde." Manfred Franze kann bei seinem Vortrag über die Gleichschaltung im Landkreis Ebermannstadt aus vollen Aktenbeständen schöpfen. "Das ist nicht überall so. In Forchheim haben die Verantwortlichen im April 1945 eine ungeheure Energie an den Tag gelegt, um Unterlagen zu verbrennen oder in der Papiermühle zu vernichten."

Hitler-Linde in Gasseldorf
Und so wissen wir nicht nur von der Propaganda-Pflanzaktion der Hitler-Linden in Gasseldorf, Niedermirsberg oder Ebermannstadt, sondern auch vom Umsägen solcher Bäumchen durch fremde Hand. Die Sabotagetat wurde der Bayernwacht, dem bewaffneten Arm der BVP, angelastet. Deren führende Köpfe wurden im April 1933 aus dem Ostergottesdienst in der Basilika Gößweinstein heraus verhaftet.
"Dennoch hängt die Gleichschaltung nicht nur am SA-Sonderkommissar Thomas Kraus aus Streitberg, der die Aktionen koordinieren und vorantreiben soll. Auch die Haltung des Landrates und der staatlichen Verwaltung ist von Bedeutung." So habe Landrat Ferdinand Waller die "Auffüllung" des Stadtrats mit NS-Abgeordneten gerügt und für ungültig erklärt. Mit der Folge, dass ihm wenig später ein Stellvertreter zugewiesen worden sei, der aufpassen sollte, dass der Landrat auf Parteilinie agierte.
Die Besetzung der Führungsposten in Vereinen und Verbänden durch stramme NS-Mitglieder konnte aber auch der liberale Landkreischef nicht verhindern. Keine wichtige Position sollte der Kontrolle durch die Nazis entzogen bleiben.
Die Situation der Juden im Forchheimer Land und die Agitation gegen diese Bevölkerungsgruppe untersuchte Rolf Kießling. Dabei legte er Wert auf die Feststellung, dass nur rund ein Prozent der Einwohner mosaischen Glaubens waren. "Zahlen und Fakten spielten in der Judenhetze durch das Kampfblatt Der Streiter aber keine Rolle." Das Forchheimer Pendant zum Nürnberger
Stürmer eines Julius Streicher zeichnete sich durch plumpe Parolen, Pauschalisierungen und Boykottaufrufe aus.
Den Worten folgten bald auch Taten. "In Ermreuth wurden die Jugendlichen ermutigt, die Fensterscheiben der Häuser ihrer jüdischen Mitbürger einzuwerfen." Noch schlimmer traf es den Forchheimer Luis Schloß, der Mitte Mai 1933 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurde. Dort traf er auf den KZ-Kommandanten Hilmar Wäckerle, ebenfalls aus Forchheim. Kurz nach seiner Inhaftierung starb Luis Schloß, angeblich durch Selbstmord, doch eine Autopsie ergab, dass er an brutalen Folterungen zugrunde gegangen war. "Erstaunlich, dass eine solche Untersuchung überhaupt durchgeführt wurde." Dem mutigen Staatsanwalt von damals ist übrigens auch ein Ermittlungsverfahren gegen Wäckerle zu verdanken. Der musste sich jedoch nicht wegen Begünstigung einer Straftat verantworten, er hatte die Schläger ja gewähren lassen.

Biedere Normalität
"In Forchheim etabliert sich nach der ,Machtergreifung' die biedere Normalität der Diktatur: Willkürliche Verhaftungen, Enteignungen, Denunziationen, Hausdurchsuchungen, Psychoterror, Gleichschaltung in Staat und Gesellschaf." Die Gleichschaltung, die am 9. März 1933 mit dem Hissen der Hakenkreuzfahne am Forchheimer Rathaus für alle Augen sichtbar wurde, erläutert Thomas Greif. Die Nationalsozialisten seien dabei dreist und skrupellos vorgegangen und hätten zugleich ein Propagandafeuerwerk abgebrannt.
Das hätte die kritische Forchheimer Zeitung zu spüren bekommen, die man immer wieder verboten, deren Redaktions- und Druckereigebäude man durchsucht und besetzt hatte, und die, nachdem man sie auf Parteilinie getrimmt hatte, mit dem Forchheimer Tagblatt zwangsfusioniert wurde. Im Stadtrat gingen Hans Hofmann und seine NS-Vasallen ähnlich ungeniert zu Werke. Die SPD- und KPD-Abgeordneten waren verhaftet, ihre Sitze, und die der inzwischen selbstaufgelösten BVP verleibten sich die Nationalsozialisten durch das Gleichschaltungsgesetz ein. Aus einer Minderheitsfraktion wurde die einzige Fraktion im Stadtparlament. "Es fielen immer wieder die Worte: ,Der gehört an die Wand gestellt und erschossen.' Wer Hans Hofmann gegen sich hatte, hatte nichts zu lachen." UDO GÜLDNER

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