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Die Nationalsozialisten erobern die Fränkische Schweiz

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Historie Wer anfangs der 1930er-Jahre hellsichtig und unerschrocken genug war, konnte vor einem Erstarken der Nationalsozialisten nicht mehr die Augen verschließen. Die Polizei nahm an deren Aufmärschen trotz eines gesetzlichen Verbots nur wenig Anstoß.
VON UNSEREM MITARBEITER Manfred Franze

Kreis Forchheim - Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg sammelten sich auch in Forchheim rechtsradikal Gesinnte in deutschvölkischen Gruppierungen. Aus dieser Anhängerschaft kamen die Mitglieder der im Februar 1922 gegründeten NSDAP-Ortsgruppe unter der Führung des Kaufmanns Gottlieb Kärgelein (1890-1966). 1924 wurde Kärgelein in den Stadtrat gewählt und gab von da an sechs Jahr lang eine eigene Zeitung heraus. "Der Streiter" erschien zunächst wöchentlich, später 14-tägig in einer Auflage von etwa 1000 Stück. Wie "Der Stürmer" hetzte das Kampfblatt gegen die örtlichen Juden und den Ersten Bürgermeister Hans Knorr (1892-1937).

Der vielen Beschwerden wegen übernahm Gauleiter Hans Schemm (1891-1935) im Juni 1928 formal die Schriftleitung, um mit seiner Immunität als Landtagsabgeordneter das Blatt juristisch zu schützen. Schemm legte aber nach wiederholten Beschlagnahmungen und mehrfachen Zivilklagen zwei Jahre später seine Verantwortlichkeit nieder.

Kärgelein selbst kam mehr oder weniger ungeschoren davon, weil die Bamberger Strafkammer seinen beleidigenden Kampagnen - wie damals üblich bei Angriffen von Rechts in Deutschland - keine Grenzen setzte. Über Forchheim hinaus hatte die NSDAP bis 1930 im Umland keine eigenen Ortsgruppen. Das änderte sich, als im Frühjahr in Berlin der Reichstag keine Lösung im Streit um die Arbeitslosenversicherung fand, und Reichpräsident Hindenburg (1847-1934) den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning (1885-1970) mit der Bildung einer parlamentarischen Minderheitsregierung beauftragte, einem sogenannten "Präsidialkabinett".

Nazis fassen langsam Fuß
Gegen seinen mit "Notverordnungen" durchgesetzten scharfen Sparkurs demonstrierten nicht nur Gewerkschaften, sondern auch die Nationalsozialisten.

Um größere Ausschreitungen zu verhindern, erließ Bayern - noch bevor das auf Reichsebene geschah - ein generelles Uniformverbot für politische Kundgebungen unter freiem Himmel. Für Forchheim und sein Umland wirkte sich das zunächst nicht aus, weil - wie Landrat Ernst Recht an die Regierung meldete - hier "Organisationen mit Parteiuniformen bisher noch nicht bestehen". Tatsächlich hatten aber zu diesem Zeitpunkt die Nationalsozialisten im Forchheimer Umland und in der Fränkischen Schweiz organisatorisch bereits Fuß gefasst.

Nach Auftritten von Karl Holz (1895-1945) aus Nürnberg und Hans Schemm aus Bayreuth waren in Gräfenberg im März 1930 unter Führung des praktischen Arztes Carl Ittameier (1882-1978) und in Heiligenstadt auf Initiative von Karl Schmidt die ersten NSDAP-Ortsgruppen gegründet worden. Schmidt führte in Heiligenstadt ein Baugeschäft und erhielt politische Unterstützung aus Bamberg und Forchheim.

Wenige Wochen später kam es dann auch in Plankenfels nach einem Auftritt von Schemm zur Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe mit 14 Mitgliedern. Dafür aber erlebte die Forchheimer NSDAP-Ortsgruppe einen Rückschlag. Kärgelein musste als Herausgeber von "Der Streiter" zurücktreten. Man munkelteb seinerzeit, er habe "des Verdienstes wegen mit einzelnen politischen Gegnern größere Versicherungen abgeschlossen und sich damit verkauft". Andere hätten kritisierten, dass er "sämtliche Einnahmen aus der Zeitung stets zur Deckung seiner Betriebsausgaben aufgebraucht und daher die Partei nichts verdient habe".

Reichstag wird aufgelöst
Weil das Blatt ab Juli 1930 nur noch als Ableger der Bamberger NSDAP-Zeitung "Die Flamme" erschien, verlor es an Zugkraft und wurde im Februar 1931 ganz eingestellt. Im Juli 1930 lehnte der Reichstag eine Notverordnung der Reichsregierung zu Steuerfragen ab.

Das entsprach durchaus der Verfassung, nicht aber, wie anschließend der Reichskanzler in Absprache mit dem Reichspräsidenten darauf reagierte: Der Reichstag wurde aufgelöst und für den 14. September 1930 Neuwahlen ausgeschrieben.

Erst drei Wochen vor der Wahl begann auch in Forchheim und in der Fränkischen Schweiz der Wahlkampf. Entgegen der strikten Anordnung ihrer Münchner Parteiführung hielten sich die örtlichen Nationalsozialisten nicht an das von der bayerischen Staatsregierung verhängte Uniformverbot.

Die Polizei beobachtete beispielsweise in Neunkirchen, wie "28 Nationalsozialisten aus Erlangen" auf einem Lastkraftwagen in "Mänteln von grauer, gelber oder schwarzer Farbe" zu einer NSDAP-Veranstaltung vorfuhren. "Vor der Wirtschaft angekommen, legten sie wie auf Kommando ihre Mäntel ab und betraten in voller Uniform das Wirtsanwesen, wo sie während der Versammlung für den allerdings gar nicht benötigten Saalschutz sorgten."

Ein Einschreiten erfolgte ebenso wenig wie bei der Propagierung ihrer Ziele in aller Öffentlichkeit: Übernahme der Macht auf "legalem Weg" und dann Abschaffung von Demokratie und Parlamentarismus. Auf einem Plakat, das zu einer NSDAP-Kundgebung nach Bamberg einlud, riefen sie "die breiten Massen des arbeitenden deutschen Volkes auf zum Widerstand gegen den Wahnsinn des heutigen Erfüllungssystems. Das Deutschland von gestern hat ausgespielt. Seine parlamentarischen Parteien haben sich als unfähig erwiesen, unser Schicksal zu meistern und Herr zu werden über den drohenden Zusammenbruch. Erst muss mit dem parasitären Gesindel aufgeräumt werden, das seit 1918 mit System und planvoller Niedertracht das öffentliche Leben in Deutschland verpestet. Jetzt oder nie ist die Zukunft der Nation in die Hand des Volkes gelegt".

Den Nationalsozialismus propagierten sie als "Träger und Vollstrecker dieser Abrechnung. Er hat das System von heute seit 10 Jahren kompromisslos bekämpft".

Die Nazis in Forchheim
Die aggressive Hetze verschärfte die politische Auseinandersetzung ebenso wie die neue Art, uniformiert in der Öffentlichkeit aufzutreten. Nicht als eine Partei wie jede andere wollte die NSDAP wahrgenommen werden, sondern als revolutionäre Bewegung: radikal, diszipliniert und bereit, ein neues Deutschland im Kampf zu schaffen.

Stramm marschierten ihre Anhänger auf Straßen und Plätzen auf, vereinnahmten das traditionelle Heldengedenken für sich und propagierten die Verheißung eines Führers, der Deutschland aus seiner Not befreien würde.

Als Hitler im August 1930 auch in Forchheim in der VfB-Halle zu einer Wahlkundgebung aufrief, rückten aus ganz Nordbayern massenweise Kolonnen - trotz Verbots - uniformiert an. Der Wiesent-Bote beschreibt, wie in Ebermannstadt "ein Trupp Hitlerleute aus Bayreuth und dem Hinterland auf einigen Lastautos durch unser Städtchen fuhr und Halt machte".

Schemm hielt eine Ansprache, in der er harsch den Versailler Vertrag und das Verhalten der Bayerischen Volkspartei geißelte. Zum Andenken an die gefallenen Frontsoldaten spielte die Kapelle das Lied vom guten Kameraden.

"Zu dem nationalsozialistischen Stelldichein hatten sich viele Zuhörer eingefunden, worauf die Hitlerleute ihre Fahrt nach Forchheim fortsetzten", schreibt Wiesent-Bote.

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